Die Grenze zwischen Webbrowsern und Anwendungen löst sich immer mehr auf. Das ist eine gute Nachricht für die Nutzer, aber nicht so gut für die Anbieter von Betriebssystemen.

In den letzten 35 Jahren hat sich das Windows-Betriebssystem von Microsoft zum vorherrschenden Betriebssystem für Personalcomputer entwickelt und als solches das heutige digitale Zeitalter maßgeblich geprägt. Herstellerneutrale Standards lassen jedoch die Grenzen zwischen Anwendungen und Webbrowsern verschwimmen, was bedeutet, dass sich der Vorhang für Windows in den nächsten fünf bis zehn Jahren schließen könnte.

Sehen wir uns an, wie Industriestandards im Technologiesektor und das Aufkommen von HTML 5 die Entwicklung von Websites und Geschäftsanwendungen beeinflusst haben.

Industriestandards im Technologiesektor

Seit seinen Anfängen war der Technologiesektor immer ein bisschen wie der wilde Westen. Im Gegensatz zur stark regulierten Gesundheits- oder Pharmaindustrie haben Hardware- und Softwareunternehmen nur mit wenigen Vorschriften zu kämpfen, und die, die es gibt, beziehen sich in der Regel auf die nationale Sicherheit oder den Verbraucherschutz. Der tatsächliche technische Betrieb von Geräten zur Speicherung, Bearbeitung und zum Austausch von Daten ist weitgehend ein freier Wettbewerb, der auf dem freien Markt und dem Prinzip "Wer am besten ist, gewinnt" basiert.

Aus diesem Grund sind echte Industriestandards für den Technologiesektor nur selten zu finden. Deklarierte Industriestandards sind dagegen sehr viel zahlreicher. Wie der legendäre Pionier der Computerindustrie, Admiral Grace "Amazing Grace" Murray Hopper, einmal sagte: "Das Wunderbare an Normen ist, dass es so viele davon gibt, aus denen man wählen kann." Admiral Hopper hat unglaublich viel erreicht und ist sicherlich die einzige Technologieexpertin, nach der sowohl ein Zerstörer der U.S. Navy als auch ein Cray-Supercomputer benannt wurde.

Echte Industriestandards befassen sich in der Regel mit komplexen technischen Fragen auf niedriger Ebene, z. B. wie Computer miteinander kommunizieren, aber die Anbieter sind sich nicht immer über diese Standards einig. Wenn zum Beispiel Telefone, Tablets und Computer miteinander kommunizieren, ist es sinnvoll, dass es eine Standardmethode zur Beschreibung eines Buchstabens in einem Textdokument gibt. Seit den 1960er Jahren gibt es den ASCII-Standard, bei dem "1000001" (binär) für den Buchstaben "A" steht und "1000010" für "B" und so weiter. IBM-Computer verwenden jedoch nicht ASCII, sondern EBCDIC, das völlig anders ist und keine Zeichen wie "{" enthält.

In der Computerindustrie ist es üblich, dass die Hersteller ihre eigenen proprietären Verfahren entwickeln, was eine großartige Strategie zur Kundenbindung ist. Es ist schwer, zu einem neuen Anbieter zu wechseln, wenn das bedeutet, dass man sein gesamtes System austauschen muss. Infolgedessen haben wir es mit Benutzeroberflächen zu tun, die sich drastisch unterscheiden - ein Windows-Rechner im Vergleich zu einem iPad.

Das Aufkommen von HTML 5

Es ist daher ermutigend, dass sich in der Branche ein neuer Standard herausgebildet hat. Giganten wie Microsoft, Google und Apple sind in der Web Hypertext Application Technology Working Group (WHATWG) aktiv und unterstützen HTML 5, einen Standard, der die Eigenschaften und Verhaltensweisen von Webseiten definiert. In Kombination mit JavaScript (nicht zu verwechseln mit Java) ist HTML 5 zum De-facto-Standard für die Entwicklung von Websites und Cloud-Anwendungen geworden. Wichtig ist, dass HTML 5 keinem einzelnen Unternehmen gehört - es handelt sich um einen echten, herstellerunabhängigen Standard.

Vor HTML 5 wurden Websites mit Technologien entwickelt, die oft proprietär (d. h. teuer), in ihrem Umfang begrenzt und in vielen Fällen schwer zu pflegen waren. Flash (von Adobe), Silverlight (von Microsoft) und Java-Applets wurden als die Webentwicklungsumgebungen der Zukunft angepriesen. Doch Flash und Silverlight wurden inzwischen von ihren Anbietern aufgegeben, während Java eine Allzweckprogrammiersprache ist, die für die Webentwicklung sehr beliebt war. Für Webentwickler ist es jedoch schwierig, ihre fertigen Produkte in Java zu testen, da es sich um eine proprietäre Technologie handelt, die sich im Besitz von Oracle befindet. Java ist nicht mehr die führende Webentwicklungsumgebung.

Alle drei Technologien erfordern die Installation von Programmkomponenten auf jedem PC, der das fertige Produkt verwenden soll. Das ist mühsam und teuer für die IT-Abteilung eines Unternehmens, denn jeder PC erfordert Support und Wartung für alle installierten Komponenten. Für HTML 5 wird jedoch nur ein Browser wie Google Chrome oder Microsoft Edge benötigt, und diese sind auf fast allen PCs bereits installiert.

Ein Nichttechniker könnte denken: "Na und? Websites gibt es doch schon seit Jahrzehnten" Das stimmt, aber haben Sie schon bemerkt, dass Websites immer ausgefeilter, optisch ansprechender und benutzerfreundlicher werden? Das liegt vor allem an der Verbreitung von HTML 5, das sowohl für die Erstellung von Websites als auch für Computeranwendungen verwendet wird.

Die Verbreitung von HTML 5 und Cloud Computing führt zu einer bedeutenden technologischen Konvergenz, die die Art und Weise verändert, wie wir über unsere Nutzung von Technologie denken.

Websites vs. Cloud-Anwendungen

In der Vergangenheit wurden Websites und Computeranwendungen als völlig unterschiedliche Wesen betrachtet. Eine Website wird im Internet gehostet und über einen Webbrowser aufgerufen. Auf Websites kann man nach Informationen suchen oder Produkte kaufen.

Anwendungen, wie z. B. ein ERP-System, laufen dagegen auf einem PC und haben eine komplexere Funktion als Websites. Apps, wie sie heute genannt werden, laufen in der Regel auf dem firmeneigenen Server und haben eine Oberfläche im "Windows-Stil", was sie von Websites unterscheidet.

Aber jetzt, da immer mehr Unternehmen Cloud-Apps verwenden, die mit HTML 5 entwickelt wurden, ist es schwierig, eine Website von einer App zu unterscheiden. E-Mail-Anbieter sind ein gutes Beispiel dafür. Ursprünglich sahen E-Mails aus und verhielten sich wie eine App. Aber wenn Sie gmail.com verwenden, besuchen Sie im Grunde eine Website und nicht eine Anwendung.

Diese neue Technologie bedeutet, dass Cloud-Anwendungen ziemlich ausgeklügelt sein können. So sind zum Beispiel viele neue ERP-Anwendungen cloudbasiert. Auch viele etablierte ERP-Anbieter migrieren ihre vor Ort installierten Systeme in die Cloud.

Interessanterweise haben einige Softwareanbieter Produkte, auf die mit einem Browser zugegriffen werden kann, die aber in der Cloud und vor Ort verfügbar sind. Den Benutzern solcher Produkte ist es egal, wie die Software bereitgestellt wird, da die alternativen Bereitstellungen identisch aussehen und funktionieren.

Mit HTML 5 entwickelte Anwendungen laufen auf jedem Browser, und Webbrowser sind von vielen verschiedenen Geräten aus zugänglich. Das bedeutet, dass Geschäftsanwendungen so entwickelt werden können, dass sie auf Tablets oder Smartphones laufen. Mit diesen neuen Technologien können Apps und Websites das Benutzererlebnis automatisch an die physischen Abmessungen des jeweiligen Geräts anpassen. Das bedeutet, dass eine Website oder App auf einem Smartphone anders aussieht als auf einem PC, aber (hoffentlich) auf beiden Geräten leicht zu bedienen ist.

Die Zukunft der B2B-Anwendungen

In Zukunft werden die meisten Anwendungen höchstwahrscheinlich einen Webbrowser als Frontend verwenden, unabhängig davon, ob sie in der Cloud oder vor Ort ausgeführt werden. Wenn Benutzer von allen Geräten, einschließlich Tablets und Telefonen, auf Anwendungen zugreifen können, wird ein Windows-PC nicht mehr das häufigste Frontend für B2B-Anwendungen sein. Das hat große Vorteile. Wie bereits erwähnt, müssen die Anwendungen nicht mehr auf den PCs der Nutzer installiert werden, so dass die PCs weniger leistungsfähig und kostengünstiger sein können.

Selbst Microsoft, das ein ureigenes Interesse am weiteren Erfolg von Windows hat, hat erkannt, dass sich die Welt verändert. Mit Office 365 hat Microsoft Versionen seiner Software, wie z. B. Excel und Word, entwickelt, die als Cloud-Apps genutzt werden und keine leistungsstarken Windows-Rechner erfordern.

Diese Revolution verändert die Art und Weise, wie wir über die Nutzung von Computern denken. Wenn Unternehmensanwendungen in einem Browser ausgeführt werden können, werden Betriebssysteme weniger wichtig. Microsoft ist sich dessen bewusst, obwohl das Unternehmen in der Vergangenheit viel Geld mit dem Verkauf von Windows verdient hat. In fünf oder zehn Jahren könnte Windows überflüssig sein, wenn wir in ein Zeitalter eintreten, in dem der einfache Zugang zu intuitiven Anwendungsfunktionen Vorrang vor der Technologie hat, die sie bereitstellt.